Wenn über neue Rekorde geschrieben wird, sind die Reporter manchmal so besoffen von den Zahlen, dass sie sie nicht mehr richtig auf die Reihe kriegen. Das Durcheinander im deutschen Mediendschungel war bei den Berichten über Spidey3 besonders amüsant, da "die Großen" mit ihren Falschmeldungen so einige Hobbyblogger auf die hinteren Ränge verwiesen. Es geht hier nicht um irgendwelche Fanboys und ihre Blogs, sondern die Rede ist von den "akkreditierten" Tastenquälern, also den Leuten mit der Lizenz, sich total seriös und als zitierbare Autorität zu präsentieren.
Den Vogel abgeschossen hat Spiegel online mit dem Artikel "Rekord im US-Kino: "Spider-Man", und dann lange nichts". Da wird erst mal behauptet "in den USA brach die Comic-Verfilmung mit 148 Millionen Dollar Umsatz am ersten Tag sogar Rekorde". 148 Mios am ersten Tag? Am ersten Tag, alleine in den USA? Nö, auf einigen screens liefen schon auch andere Filme und die Kinosäle selbst mögen zwar groß sein, aber Operngläser muss man nicht mitnehmen.
Im nächsten Satz steht dann plötzlich, dass die 148 Mio. in den ersten drei Tagen in den US-Kinos umgesetzt wurden. Was jetzt? Ach so. Das erste war ein Verschreiber. Das jetzt, das stimmt schon eher. (News: Der jetzt hochoffizielle veröffentlichte Betrag für das WE, also nicht die Schätzung, ist 151,1 Mio. Yeah Spidey!)
Weiter geht's mit Fiktion á la Spiegel online: "59,3 Millionen Dollar waren es alleine am Starttag, dem vergangenen Freitag, als das Superhelden-Drama auf 4252 amerikanischen Leinwänden anlief". (Es waren letztendlich dann 59,8 Mios! Yeah) Völlig falsch liegt Spiegel online mit den "4252 Leinwänden". Nein! Es waren eben nicht 4252 Leinwände, sondern 4252 Kinos! Gewaltiger Unterschied, denn die tatsächliche Anzahl der screens, zu der Sony absolut keine genauen Angaben machen wollte, wird von Experten auf 10.000 geschätzt. Anscheinend gehen die Spiegler nie in's Kino, sonst wäre ihnen vielleicht mal aufgefallen, dass in Multiplexen Blockbusters normalerweise in den ersten Wochen auf mehreren screens, Verzeihung, Leinwänden natürlich, zu sehen sind.
Was wir von unseren akkreditierten Journalisten erwarten sind sauber recherchierte Beiträge, oder? Dass sie nicht, wie der obige Beispiel-Fanboy, schnell was hinbloggen, ohne vorher a) den gesunden Menschenverstand zu benutzen und b) zu recherchieren bzw. die Daten mal eben überprüfen zu lassen. Trotz all des Hypes einfach Bodenhaftung behalten und cool bleiben. Den Menschenverstand hatte man wohl mal eben bei der Kaffeemaschine vergessen, denn es kommt noch mehr Unsinn.
Spider-Man 3 ging mit einer riesigen Hypothek von offiziell 258 Mio. $ Produktionskosten (übrigens sollen dazu laut Angaben einer ungenannten Quelle von CNNMoney.com nochmal 125 Milliönchen für Vervielfältigungskosten und Werbung kommen. Wow!) an den Start, die es erst einmal wieder hereinzuholen gilt. Das heißt - bei einer Aufteilung der Einnahmen zwischen Kinobetreiber und Filmverleih, sagen wir der Einfachheit halber (variiert um ein paar Prozent, oft auch während der Laufzeit eines Films), 50 % für die Kinobetreiber und 50 % für den Filmverleih, muss Spidey erst einmal Tickets im Wert von weit über 516 Mio. $ verkaufen, die dann nochmals aufgeteilt werden. Das mit der Kostendeckung dauert also noch 'ne Minute. Währenddessen steht der Fiskus schon in den Startlöchern und wartet auf die Gewinne, damit er endlich auch absahnen kann. Auf Planet Erde schlagen wir uns mit solchen Details herum.
Auf dem Planeten Spiegel online ist das nicht so. Nein, dort kann man folgende frohe Botschaft lesen: "Mit dem weltweiten Ergebnis von zusammen 375 Millionen Dollar hat der Film damit bereits nach wenigen Tagen die überwältigenden Produktionskosten von 258 Millionen Dollar gedeckt." Na supi! Dann lasst die Korken knallen und den sinkenden Restalkoholspiegel wieder hochfahren! Wenn Spiegel also seine Printmagazine verkaufen lässt, dann kriegen weder die Kioskbetreiber noch die Supermärkte einen Cut. Oops.
Die Byline des Artikels: bor/AP/dpa. Der Artikel von bor basiert demnach auf den Mitteilungen zweier Presseagenturen. In den Meldungen der Associated Press (zu finden bei Yahoo.com) war die Rede von einem "sound investment" der 258 Mio und auch, "the movie has grossed. . . more than its whopping production budget", die Bruttoeinnahmen waren also bisher höher als die Produktionskosten. Ist das ein Fall von Lost in Translation? Ob's an der Deutschen Presse Agentur liegt?
Eine entsprechende online-Recherche fördert einen Artikel auf Yahoo.de zutage, in dem steht "Mit dem weltweiten Ergebnis von zusammen 375 Millionen Dollar hat der Film damit bereits nach wenigen Tagen die Produktionskosten von 258 Millionen Dollar locker gedeckt". Fast verbatim Spiegel. Während die Spiegler schon überwältigt waren, sahen die Yahooligans es eher locker. Immerhin.
Zum Schluss noch ein Gegenbeispiel von focus.de. Dort hat man sich echt Mühe gegeben und folgende Formulierung in's Weltweb geworfen: "Obwohl „Spider-Man 3“ mit 258 Millionen Produktionskosten einer der teuersten Filme aller Zeiten ist, hat er seit dem Start am 1. Mai weltweit bereits 375 Millionen Dollar eingebracht. " (byline: jok/dpa)
Spiegel online habe ich auf den Irrtum mit den 4525 Leinwänden gestern hingewiesen. Die Redaktion fügte dem Artikel keine Berichtigung bei, obwohl seither genug Zeit vergangen ist, um die Angaben zu überprüfen. Da kommt man dann doch in's Grübeln. Bei der New York Times online habe ich schon öfters Korrekturen gesehen, immer am Ende des entsprechenden Artikels, kursiv gedruckt. Egal. Kommen wir lieber zu Spidey.
Es ging erst mal gar nicht gut los für Spidey3. Die Meinungen der US-Kritiker kann man nur als "lauwarm" bezeichnen. Spidey war weit davon entfernt, als "heiß" bezeichnet zu werden. So gaben die Elite der Print-Kritiker ihm im Schnitt 60 von 100 möglichen Punkten. Variety, Los Angeles Times and New York Times waren sogar der Meinung: 50 Punkte. Die Leser? 63 Punkte.
Au, das tut weh. Aber Moment - wie war das eigentlich bei Pirates of the Caribbean 2 - Dead Man's Chest? Den Film hatten die Kritiker mit im Schnitt nur 53 Punkten bedacht, die Leser mit 66 von 100 - und er hat bis dato Kintotickets im Wert von über 1 Milliarde $ umgesetzt. Ein Betrag, der sich in Kürze weiter erhöhen wird, wenn die Piraten zum dritten Mal in die Kinos schippern und im Vorfeld überall Doppel- und Dreifach-Feature-Vorstellungen in die Kinos kommen. Eine Tortur für's Sitzfleisch, bei einer Laufzeit von jeweils über 2 Stunden pro Film.
Das offizielle Endresultat für das Premieren-Wochenende von Spidey3 sieht so aus:
151.1 Mio. USA (zum Vergleich der bisherige Rekord: Pirates2: 135.6 Mio. )Allerdings - und das dämpft ein bisschen die Champagnerlaune - keiner kennt (meines Wissens nach) die genaue Anzahl der screens, das Studio macht keine Angaben. Das war auch schon bei den Piraten ein Problem. Aber ob die Einnahmen pro Kinosaal nun alle Rekorde gebrochen haben oder nicht, eins ist sicher:
Spidey hat die meisten Kinos in seinem Netz und es wurden Rekordsummen umgesetzt. Und das ist letztendlich was zählt, dass wir in's Kino gehen. Nicht die schlampige Arbeit der Reporter, nicht die mäßigen Kritiken, die ja auch von Journalisten stammen, sondern wir.
Das einzige, was zählt und für die Produktionsfirmen von Bedeutung ist, sind die Zuschauer und Fans, die sich Tickets kaufen und - hoffentlich - ihren Spaß haben. Denn nur dann kommen sie auch wieder und schauen sich die angekündigten Sequels Spider-Man 4, 5 und 6 an.
offizielle deutsche Spidey site
Zahlen von den üblichen Verdächtigen, professionelle box office tracking companies, deren Angaben quer über's Netz zitiert werden, z. B. box office mojo via yahoo, etc.
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